Unsere Kolumnistin ist beeindruckt von einem Buch, das erklärt, wie der Krieg die Ukrainerinnen und Ukrainer verändert hat – auch, wenn sie längst in Sicherheit sind.
Von Emiliia Dieniezhna
Wer verstehen möchte, was die Ukrainerinnen und Ukrainer fühlen, darunter auch meine Landsleute in Bayern und ganz Deutschland, dem empfehle ich das Buch “Wie der Krieg uns verändert”. Eine Bekannte hatte es mir ans Herz gelegt. Ich habe beim Lesen schnell gespürt, dass die Autorin aus der Ukraine stammt und unsere Gefühlswelten nahezu identisch sind. Der Krieg gegen mein Land hat mich wirklich für immer verändert. Die Traumata des russischen Angriffs auf die Ukraine werden das Leben der Menschen, die geblieben sind, genauso beeinflussen wie das Leben derer, die geflüchtet sind. Möglicherweise für Generationen. Egal, was man tut, es bleibt das Gefühl, dass unser Land leidet – und ich leide mit.
Die Autorin, die dieses berührende Buch geschrieben hat, heißt Olha Volynska. Sie ist Journalistin, Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin aus Dnipro in der Ukraine. Das Buch habe ich auf Deutsch gelesen. Es ist im Verlag Klingenberg erschienen, um den Menschen in diesem Land, in dem wir Zuflucht gefunden haben, zu beschreiben, wie es uns geht.
Olha Volynska erzählt mithilfe von Interviews die Geschichten von Ukrainern, indem sie über die Kriegsverbrechen Russlands sprechen. Jeder einzelne dieser Texte spiegelt die Erfahrungen von Millionen Ukrainern, die tagtäglich Tragödien erleben, sagt Volynska. Es sei unmöglich, sich von diesem Schmerz zu distanzieren, denn das Miterleben und die Empathie mache uns erst zu Menschen. Sie wünscht sich, dass diese Geschichten weitererzählt werden, um die Kriegsverbrechen Russlands gegen die Zivilgesellschaft in der Ukraine zu verbreiten.
Die Ukrainer, die in dem Buch zu Wort kommen, haben ganz unterschiedliche Schicksale. Es gibt welche, die Glück hatten, Leben retten oder ihre Angehörigen in Sicherheit bringen konnten. Und es gibt die, die um ihre Liebsten trauern wie die Journalistin Hanna Prokopenko, Enkelin der Schriftstellerin Natalia Charakos, die während des Bombardements von Mariupol gestorben ist. Oder Maryna Pitschkur, die Mutter eines ermordeten 13-jährigen Jungen aus Kiew. Auch eine Bekannte von mir, Oleksandra Matwijtschuk, kommt in dem Buch vor. Sie dokumentiert russische Kriegsverbrechen bereits seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 und sagt: “Man muss nicht Ukrainer zu sein, um die Ukraine zu unterstützen. Es reicht, Mensch zu sein.” Insgesamt sind es zwölf Geschichten, die Olha Volynska gesammelt hat. Und keine, wirklich keine, berührt einen nicht.
Dabei geht es der Autorin nicht nur darum, den Schmerz der Menschen zu beschreiben. Sie will gleichwohl unterstreichen, dass es in diesem Krieg um Werte geht, dass die Menschen die Wahl haben, Demokratie und Freiheit zu verteidigen. Volynska hofft, mit ihrem Buch die deutschsprachigen Leser zu motivieren, die Ukraine weiterhin zu unterstützen.
Ich kann das Buch wirklich empfehlen und bin sicher, dass es hilft, uns besser zu verstehen. Es erklärt, warum es uns oft nicht möglich ist, einfach zu lächeln, fröhlich zu sein und das Leben zu genießen. Das gilt auch für meine Landsleute, die jetzt in der relativen Sicherheit im Ausland leben, und es weckt Verständnis für unsere Kinder, die sich mit dem Hintergrund der Erlebnisse ihrer Eltern oft schwertun, sich in einem neuen Land einzuleben.
Emiliia Dieniezhna, 35, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.
Original article: sueddeutsche.de